71°10’21“

Der Wecker riss mich schon um halb fünf aus meiner Traumwelt. Es war schon ein Stück Überwindung dabei, sich aus dem Schlafsack in die Kälte zu bewegen, aber schließlich trqute ich mich, denn ich hatte ja etwas zu erleben, heute. Also packte ich zusammen und kochte mir meinen Porridge mit dem schwarzen Tee. Um zwanzig vor sieben kam mein Bus und ich stieg ein. Mal wieder weder Strom noch Wlan im Bus, aber die Enträuschung darüber hielt nur kurz bis ich die Landschaft genoss.

Der Bus hielt auf der Strecke zwei Mal an, um Pause zu machen und um den Gästen das umsteigen zu ermöglichen. Das hatte ich aber nicht mitgekriegt. Englische Ansagen über das Busmikrofon sind ungefähr so schwer zu verstehen wie die Radiohörbeispiele in den Englischklausuren. Plötzlich bemerkte ich, dass der Bus einfach wieder zurück fuhr. Richtung Alta! Da kam ich gerade erst her! Meine App hatte mir gesagt, dass der Bus durchfährt. Perfekt. Ein bisschen aufgeregt, fragte ich die vor mir sitzende Person. Sie zeigte mir freundlicherweise, dass ein nächster Bus in vier Stunden fuhr. Also stieg an der nächsten Raststätte aus. Nun hatte ich die Möglichleit vier Stunden auf meinen Bus zu warten oder zu trampen.

Die Version für meine Eltern: ich habe natürlich vier Stunden auf den Bus gewartet.

Die Wahrheit: ich habe einige Menschen angesprochen, ob sie zum Nordkapp fahren. Ein finnisches Paar erklärte sich schließlich bereit, mich mitzunehmen. Super! Zur Sicherheit schickte ich das Nummernschild an meine Freunde. Die Fahrt über unterhielt ich mich lebhaft mit der Frau, die genauso begeistert von der Landschaft war wie ich. Rehntiere überquerten immer wieder die Straße und die Bewaldung der Landschaft nahm ab. Fast quadratische geriffelte Steine sprossen aus dem Boden und ließen so die Landschaft besonders rau wirken. Im letzten Dorf vor dem Nordkapp stoppten wir und die Finnen kauften sich einen Kaffee. Die Frau bot mir einen finnischen Apfel aus ihrem Garten an, der wirklich gut schmeckte. Perfekt, dann habe ich meinen Supermarktapfel noch für morgen.

Endlich war es soweit. Ich stand am nördlichsten Punkt Europas und schaute Richtung Norden auf ein endloses Meer. Ich konnte es noch gar nicht fassen. Aber der Wind peitschte mich zurück in die Realität. Ich verabschiedete mich von dem finnischen Paar und aß zu Mittag. Brot mit Käse mmmh. Dann schaute ich mich in der Nordkapphalle um. Weil ich ohne Auto gekommen war (naja streng genommen, bin ich mit dem Auto gekommen, aber ich brauchte ja keinen Parkplatz), musste ich nichts bezahlen und konnte so den ganzen Luxus genießen. Ein kleines Kino mit einem Film über das Nordkapp, eine Ausstellung über die Geschichte und die berühmten Persönlichkeiten, die das Nordkapp besucht haben und eine Ausstellung mit Licht und Ton, die echt beeindruckend war. Außerdem eine kleine Kapelle (die nördlichste ökomenische Kappelle der Welt und lauter Möglichkeiten sich hinzusetzen. Ich genoss die Wärme und die Windstille, sowie das Wlan und die Steckdosen.

Irgendwann suchte ich mir dann ein schönes Plätzchen für mein Zelt und wurde fündig. Zwar wollte mir der Wind erst einen Strich durch die Rechnung ziehen, aber schließlich stand das Zelt und ich kochte mir Nudeln mit Pesto. Dann machte ich noch einen Abendspaziergang und schaute zu, wie die Sonne unterging.

Die Wahrscheinlichkeit, Nordlichter zu sehen, betrug diese Nacht zwanzig Prozent. Das würde die höchste Wahrscheinlichkeit sein, die ich bekommen würde. Also stellte ich jede Stunde Wecker und lugte aus dem Zelt hervor. Aber leider hatte ich kein Glück. Dafür hatte ich genug Gesellschaft von Rentieren. Die mich neugierig anstarrten während ich mein Abendessen genoss. Schließlich schlummerte ich auf 71°10’21“ nördlicher Breite.

2 Comments on “71°10’21“

  1. Danke für die „Elternversion“!
    Wir haben den darauffolgenden Absatz natürlich übersprungen (das ist die Version für die Tochter…).

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  2. Wow mega schön! 😍
    Das Nordkapp ist ein echtes Highlight und dort soll es auch eine schöne Wanderung geben. Die haben wir zeitlich nicht mehr geschafft.
    Und supi das es trotz des Busdilemmas geklappt hat. Finnen sind solche Herzensmenschen, wenn man ihnen Zeit gibt um einen kennenzulernen.

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